Unbestritten war das eine schöne Zeit, als man selbst noch ans Christkind und den ganzen Zauber glaubte. Die Weihnachtszeit lud sich mit jener magischen Energie auf, die man im Erwachsenenalter immer mal wieder sehnlichst sucht und dabei selten findet. Doch es waren nicht nur die himmlischen Engelsgeschichten, die jenen Kindheitsabschnitt, den die Entwicklungspsychologie die magische Phase nennt, bei mir prägten.
Auch das kolportierte Böse zog mich im Kleinkindalter in seinen diabolischen Bann. Damals streunerte ich oft mit meinem nur wenige Monate älteren Cousin durch unvertrautes Terrain – er wohnte in einem anderen Teil unserer Gemeinde, sehr idyllisch, rundherum viel Wiese, Apfelbäume und zaunloses Gartenglück. Doch wo Licht, da auch Schatten. Vor dem musst du dich in Acht nehmen, flüsterte mir der vierjährige Kindermund eines Tages verschwörerisch ins Ohr. Mit ausgestrecktem Arm deutete mein Cousin unheilvoll auf das Haus eines weiter entfernten Nachbarn, Besitzer von zwei schwarzen, langbeinigen Hunden. Er hetzt die Köter auf dich und schießt auf alle, die sein Grundstück betreten. Nicht den Bruchteil einer Sekunde zweifelte ich am Wahrheitsgehalt des Gesagten. Später einmal meinte ich sogar ein Gewehr über seiner rechten Schulter zu erkennen. Und so beschäftigte mich ab sofort und tagesfüllend die Frage, wie groß wohl der Bogen sein müsste, den ich um das Grundstück zu machen hatte, damit ich es auch ja nicht zufällig betreten und er mich augenblicklich totschießen wurde. Und ich hoffte inbrünstig, dass er zumindest gute Augen hatte, um zu erkennen, dass ich alle Abstandsregeln befolgte. Ironie des Schicksals: Ich wohne inzwischen selbst in dieser Gegend. Erst vor kurzem erinnerte ich mich wieder an diese kleinkindliche, rabenschwarze Fantasie. Das Haus und den vermeintlichen Bösewicht kann ich allerdings nicht mehr verorten.
Die magische Gabe meiner eigenen Kinder habe ich dann trotz besseren Wissens beizeiten unterschätzt. Inzwischen sind sie groß. und manchmal ploppen auch bei ihnen Erinnerungen auf. An Engelshaar, das sie im Garten fanden, aber auch an Kümmernisse, über die sie heute lachend den Kopf schütteln. Wir Eltern hatten nicht im Entferntesten geahnt, welch fantastische Reime sie sich in ihren süßen Köpfen auf gewisse Geschehnisse machten. Wie einfach hätte ich sie doch mit einem Wisch davon befreien können. Nein, die Katze ist nicht gestorben, weil du gestern so getobt hast. Und die Kobolde im glucksenden Badewannen-Abfluss können ganz bestimmt nicht rauskommen ;-). Kindliches, magisches Denken, so hell, so dunkel, so geist(er)reich.