Mobilnavigation

Mit allen Sinnen #1: lernen.

Angefangen hat es vor drei Jahren. Als ich mich das erste Mal dazu hinreißen ließ, einen Online-Kurs zu kaufen. Konkret: Einen Piano-Kurs. Nur, weil mein Jüngster in der hiesigen Musikschule mit Klavierunterricht begonnen hatte. Ich stellte mir vor, wie ich Ruhe tanken und Headlines kreieren würde, während meine Finger behände alles rauf- und runterspielten, was es auf der Pop-Balladen-Gefühlsklaviatur zu erobern gibt.

Der Klavierlehrer meines Sohnes befeuerte meine „hidden talent“-Hoffnung zusätzlich, auch wenn er sich dabei vor allem einen pädagogischen Mehrwert für seinen Unterricht ausrechnete: Ich solle nur kräftig mitlernen mit dem Kleinen, das sei doch eine willkommene Entspannung in meinem stressigen Alltag. Er könne da aus Erfahrung sprechen, bei nichts ließe sich so sehr abschalten wie beim Musizieren. Er vergaß wohl, dass seine Finger inzwischen Beethoven-Sonaten und Mozartkonzerte im Schlaf beherrschten, während ich bei einfachsten Fingerübungen auf feinmotorische Blockaden stieß, die mir die Zornesröte ins Gesicht trieben. Dennoch, die Phantasie, als Neo-Pianistin unser Haus in selbst erzeugte Klangwelten zu hüllen, war verführerisch. Also suchte ich im Internet. Und fand. Ein passables Angebot. Respektive: eine Box mit Lern-CDs. Um bei der Wahrheit zu bleiben: Das einmalige „zwei zum Preis von einem“-Angebot eines marketingschlauen Musikers, nachdem ich seinen interaktionsfreien Gratis-Youtube-Kurs absolviert hatte. Wochenlang wartete ich auf das Postpaket mit den verheißungsvollen Lern-CDs. Bis ich in meinem Spam-Ordner den Link entdeckte, der mir den ersehnten Zugang zu den Pianolektionen verschaffen sollte. Ach so war das. Nichts also, was ich mir als Eyecatcher auf die Küchentheke stellen könnte um mich leise erinnert zu fühlen, ans Klavier zu sitzen und meine Lernkurve zu steigern. Dafür ein Buchstabenpfad, diskret, ja fast unbemerkt einge-wlan-gt und inzwischen im Postordner „wichtige Daten“ einen Dornröschen-Ewigkeitsschlaf frönend. Weniger dezent die pushigen Mails des Urhebers, der mich inzwischen so persönlich begrüßt, dass ich schon Angst bekomme, als nächstes will er mit mir auf einen Kaffee gehen. Ein betont lockeres „Hi Simone“ da, ein verschwörerisch zwinkerndes Emoji dort, alberne Bonmots zwischendurch – alles nur um mich und Tausend andere zu motivieren, mit ihm in Kontakt zu treten und auch seine anderen Kurse zu begutachten. Nicht kaufen, nur mal schauen ...

Plädoyer fürs Analoge!

Nicht geläutert von dieser Geld-Hinauswurf-Aktion habe ich später auch noch für ein Spanischkurs-Online-Abo erworben. Auch dieses Angebot dümpelt ohne zeitliche Investitionsbereitschaft meinerseits dahin. Zuvor habe ich jahrelang immer wieder Spanisch-Kurse bei Bildungseinrichtungen besucht. Dies war selten mit einem sonderlichen Vergnügen verbunden, aber zumindest mit dem guten Gefühl, dranzubleiben, etwas für den Spracherwerb zu tun. Mir ist eines bewusst geworden, und Lockdown-Zeiten verstärken diesen Eindruck gerade: Es braucht einfach, oder vielmehr ICH brauche die Luftveränderung und den Raumwechsel, die Dynamik einer Gruppe, den klaren Fokus auf die eine Sache, wegen derer ich dort bin und gleichzeitig die dort auf mich wirkenden Sinnesreize, um einen Erfahrungs- und Lerngewinn zu generieren.  Zu Hause vermischt sich alles: Das Online-Vokabel-Abfrage-Tool, der Hunger des mittleren Kindes, die Haustürklingel, das eigene Magengrummeln, die Mail- und weitere Nachrichten, die plötzliche und scheint‘s unüberwindbare Müdigkeit und das hämische Stimmchen im Ohr, das die eine Botschaft penetriert: Komm, lass gut sein, das bringt’s ja eh nicht. Ablenkungsmanöver zuhauf, verdichtet im virenfreien Zuhause-Kosmos, der in Bezug auf Lernfortschritte vor allem eines down-shutted: meine Eigenmotivationskräfte.