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Rolle rückwärts?

Die Folgen des Shutdown spiegeln uns ungeschminkt, wie es um unser Zusammenleben steht. Ganz speziell ins Scheinwerferlicht rückt dabei die Lage der Frauen und das Thema Gleichberechtigung. Macht Not wirklich erfinderisch oder doch eher reaktionär?

Eine Bekannte schreibt mir, sie habe gerade ihren Job verloren. Sie ist Akademikerin, hat drei kleine Kinder und war bis dato geringfügig beschäftigt. Von einer Freundin erfahre ich, sie müsse all ihren auf die Sommerferien gesparten Urlaub abbauen und wisse nicht, wie sie mit ihren zwei Kindern über die Sommermonate käme. In den Hauptnachrichten lobt ein Regierungsvertreter seine Frau, wie vorbildlich sie sich dem Homeschooling widme. Der hiesige Landeselternverband weiß wiederum von Alleinerzieherinnen in systemerhaltenden Berufen, die erschöpft von der Arbeit nach Hause kämen und abends noch mit ihren Kindern über den Arbeitsblättern säßen. Ihr Nachwuchs werde zwar in der Schule betreut, dennoch sei diese im coronabedingten Standby-Modus vor allem Hort ohne offiziellen Bildungsauftrag. Mögen das auch nur einzelne Spotlichter sein – sie zeigen, dass in dieser Krise gerade auch die Frauen gefährdet sind, unter die Räder zu kommen. Und das aus mehreren Gründen: drohende Arbeitslosigkeit, Überforderung, Rückfall in alte Rollenmuster. Von zunehmender Gewalt innerhalb der Familie noch gar nicht zu reden.

Wehret den Anfängen

Die aktuellen Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Bedingt durch Teilzeitanstellungen steigt die Arbeitslosigkeit von Frauen als Folge des Shutdown gerade überproportional und Mütter wenden sich wieder vermehrt der Familienarbeit zu. Inklusive dem ministeriell zugeschanzten „Lehrauftrag“ ist also Frau derzeit Köchin, Putzfrau, Pädagogin, IT-Dienstleisterin und Kümmererin vom Dienst zugleich. Und wenn sie ihre Anstellung noch halten konnte, dann darf sie sich glücklich schätzen, Kochlöffel, Klobesen und Zeigefinger schwingend auch nach wie vor ihrem Job nachzugehen. „Wehret den Anfängen“, tönt es da aus jenen Kreisen, die sich seit Jahrzehnten für ein Aufbrechen zementierter Rollenzuschreibungen einsetzen und sich schon vor der Krise noch weit entfernt vom Ende der Fahnenstange wähnten. „2019 erhielt Österreich vom UN-Frauenrechtskomitee in der Kategorie „stereotype Geschlechterrollen“ kein gutes Zeugnis. Dass Kinderbetreuung vorwiegend an Frauen überantwortet wird, wird als Diskriminierung bewertet, die die Chancen von Frauen am Arbeitsmarkt schmälert“, weiß Lea Putz-Erath, Geschäftsführerin des Fraueninformationszentrums femail. Und das trotz Errungenschaften wie Papamonat oder geteilter Karenzmodelle und vor allem noch zu Prä-Corona-Zeiten, also bevor der Hausunterricht zusätzlich unter den eh schon strapazierten Hut gezaubert werden musste. „Frauen übernehmen jetzt einfach, weil es zu tun ist. Und neigen dazu, die Messlatte bei allem, was sie tun, besonders hoch anzulegen. Dazu kommt oft genug die finanzielle Sorge“, sieht Putz-Erath das Konfliktpotential innerhalb der Familien steigen. „Frauen wenden sich an uns, weil sie ein schlechtes Gewissen haben, die Zeit nicht gut genug zu nutzen oder weil sie Ärger und Ungeduld gegenüber den Kindern empfinden. Wir sagen dann: Ansprüche reduzieren, das Notwendige genügt! Es muss nicht täglich ein Kuchen und ein tolles Mittagsmenü auf den Tisch kommen.“ 

Re-Traditionalisierungseffekt

Aus einer feministischen Perspektive sei zu befürchten, dass diese stattfindende Re-Traditionalisierung mittel- bis langfristige Nachwirkungen haben würde, vor allem da Berufe, in denen viele Frauen beschäftigt sind, stärker von Ausfällen und damit von Arbeitslosigkeit betroffen seien, sagt auch die Gender-Expertin Marita Haas, Wien: „Hier fügt sich dann ganz „logisch“, dass sich Frauen wieder mehr um Kinder kümmern und die – ökonomisch besser gestellten – Männer in ihren entscheidungsrelevanten Positionen verbleiben. Wir müssen also insgesamt als Gesellschaft darauf achten, dass Errungenschaften im Bereich der Gleichberechtigung nicht unter den Tisch fallen.“ In der ORF-Sendung „Im Zentrum“ stellte sie eine interessante These auf: In Schweden wäre der an die Eltern übertragene Bildungsauftrag nie so widerspruchslos hingenommen worden wie es in Österreich der Fall war. Darauf angesprochen konkretisiert sie: „Während es in Österreich in klassischen Familiensettings nach wie vor einen männlichen „Hauptverdiener“ und eine weibliche „Zuverdienerin“ gibt, die sich zusätzlich um Betreuungsarbeit innerhalb der Familie kümmert, hat Schweden eine lange Tradition, Eltern rasch wieder auf den Arbeitsmarkt zurückzuholen und umgekehrt ihnen aber auch zeitlich so viel Freiraum zu geben, dass sie Elternschaft gut leben können. In Schweden ist es gang und gäbe, dass gegen 16:00 Uhr sowohl Kinderbetreuungseinrichtungen als auch viele Büros und Industriebetriebe schließen und es damit auch gleichberechtigte und gemeinsame Familienzeit gibt.“ Ergo sei das Ungleichgewicht zwischen Erwerbs- und Familienarbeit, zwischen Männern und Frauen dort weit weniger stark ausgeprägt. Ein Komplett-Ausfall der Schulen und Kinderbetreuungsstätten würde eine ganz andere Debatte nach sich ziehen.

Leise Hoffnung

Hier dockt die femail-Geschäftsführerin an, will auch sie die viel zitierte „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ nicht allein bei den Frauen verortet wissen, sondern sieht diese Herausforderung vielmehr als gemeinsam zu meisterndes Elternthema. Es gehe ja nicht um ein Blame-Gaming Richtung Männer, es gehe um ganz praktische Dinge wie den flächendeckenden Ausbau einer qualitativen und zeitlich ausgedehnten Kinderbetreuung und um mehr gesellschaftliche Akzeptanz für progressive und insbesondere vielfältige Familienmodelle. Bei aller Krisenstimmung lässt sich Putz-Erath jedenfalls die leise Hoffnung nicht nehmen, dass gerade die jetzige Situation auch da und dort Anstoß fürs Ausprobieren eben solcher Modelle sein könnte. Sie kenne durchaus Familien, die aufgrund der Umstände fast automatisch in einem Rollentausch landen würden. Weil eben beispielsweise die Frau als Krankenschwester in einem systemerhaltenden Bereich tätig ist und der Mann als Fitnesstrainer derzeit seiner Erwerbsarbeit nicht nachgehen kann – und daher den Job zu Hause schmeißt.

Kommen wir zum Schluss: Selbstbestimmung bezüglich Berufsausübung setzt Wahlfreiheit voraus. Dazu gehört ein stabiles Netz an öffentlicher Kinderbetreuung. Dazu gehört, Väter weder über Gebühr zu loben noch zu belächeln, wenn sie sich Familien- und Erwerbsarbeit mit ihren Partnerinnen teilen. Dazu gehört die Kampfansage an den Gender-Pay-Gap, sprich, Frauen für gleiche Tätigkeiten den gleichen Lohn wie ihren männlichen Kollegen zuzugestehen. Dazu gehört, in all diesen Punkten gemeinsam am selben Strang zu ziehen. Um nicht zuletzt auch über ein Grundeinkommen für Frauen wie Männer nachzudenken, das, so Putz-Erath: „mehr Effekte in Richtung Wertschätzung jeglicher Aktivitäten bringt, egal ob Erwerbsarbeit, Ehrenamt oder Familienarbeit.“ Statt einer Rolle rückwärts wäre das ein Sprung nach vorn Richtung gendergerechtere Gesellschaft – im Sinne eines gemeinsamen Gewinns mit nachhaltiger Wertesicherung. 

marie, Mai 2020