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Winterbaden: So cool!

Anfang 2021, das Land stand mitten im dritten Lockdown, der Winter hatte gerade Fahrt aufgenommen, erzählte mir eine Freundin, sie habe sich mit Leib und Seele dem Winterbaden verschrieben. Regelrecht süchtig sei sie inzwischen nach den eiskalten Badegängen am Alten Rhein. Diese würden sie durch die mürbe Zeit tragen und mit Glücksgefühlen fluten. Ich spitzte die Ohren, war allerdings schon beim Zuhören hin- und hergerissen: Ich hasse Kälte. Aber ich liebe den Kick, die Lebendigkeit, ...

... die einem das Element Wasser im einstelligen Temperaturbereich bescheren kann. Sofern es danach eine schnelle Rundum-Wärme-Versorgung gibt. Genau das war der Haken. Solange sich niemand die Mühe machte, ein Saunahäuschen am Ufer des Alten Rheins zu installieren, würde ich darauf verzichten müssen. Außerdem, so sagte ich mir, muss man nicht jeden Trend mitmachen. Und wer weiß schon, ob es wirklich so gesund ist. Zu Corona-Zeiten wollte ich jedenfalls keine triefende Nase riskieren. Langer Ausreden kurzer Sinn: Diesen Winter bin ich schwach geworden. Ich tu’s jetzt auch. Eines kühlen Novembersonntags zog ich mit einem albernen Gefühl im Bauch den Bikini an, packte meine Badetasche und fuhr zur Liegewiese am Alten Rhein, um mich einer Gruppe versierter Bader:innen anzuschließen. Lauthals posaunte ich mit dampfendem Atem in die Winterluft hinaus, ich würde das mit dem Kältebad schon vom Saunieren kennen, pff, pah, ein Klacks. Nachsichtiges Nicken und aufmunterndes Zulächeln reihum. Auf Schlappen, Handschuhe und Kappe verzichtend marschierte ich siegessicher ins Wasser. Erst noch belangloses Zeug plaudernd, dann, spätestens ab Wasserstand auf Bauchnabelhöhe schnappatmend und schwupps stand ich wieder komplett angezogen am Ufer, kleinlaut den von meiner Freundin mitgebrachten Tee schlürfend. Noch zwei Versuche an den darauffolgenden Wochenenden sollte es dauern, bis ich den entscheidenden Punkt überwand. Diesen Punkt, der dir signalisiert, du solltest es nicht tun, wenn du nicht sterben willst. Zwei Versuche, bei denen ich jedes Mal nach meiner panikartigen Flucht aus dem Wasser vom Ufer aus meine Mitbader:innen beobachtete: in sich versunken, ruhig atmend, minutenlang im Wasser stehend. Und sie dann vom Naturerlebnis, der großartigen Wolkenstimmung, dem wohlen Gefühl im Körper erzählen hörte. Wie kann man am selben Ort dasselbe tun und das Wesentliche nicht mitbekommen? Plötzlich ging mir ein Licht auf: Das hier hatte mit Einstellung, neudeutsch Mindset, zu tun. Und mit einer ganz eigentümlichen Auslegung von Genuss. Ich beschloss, mich wirklich darauf einzulassen. Auf die Kälte, die Atmung, den inneren Schweinehund, das Brennen auf der Haut. Darauf, es auszuhalten, es wegzuatmen – oder wegzuschimpfen – jedenfalls den entscheidenden Punkt zu überwinden, bis alles tief drin in einem ruhig wird. Analoger „Reset“: Kurz alles runterfahren, bevor es im Alltag wieder temporeich weitergeht. Stille im Kopf, Einssein mit der Natur, die Euphorie hernach. Kleines Geheimnis, große Wirkung, vielleicht auch ein bisschen spinnert.

Zugegeben, ich bin eine Debütantin, ein Grünschnabel. Edith Böckle hingegen schwimmt schon den zweiten Winter. Die 47-jährige Sozialarbeiterin ist ins Eisbaden quasi hineingeschlittert. Im Sommer schwimme sie sowieso jeden Tag und als es Herbst wurde, habe sie einfach nicht aufgehört damit. Edith wohnt in der Nähe eines Baggersees in Brederis und ist eine Morgenschwimmerin. Wann immer es die Zeit zulässt, radelt sie die gut zwei Kilometer zum See und zieht dort, egal bei welchen Temperaturen, zehn Minuten lang ihre Bahnen. Mausalleine. (Wenn ich anmerken darf: nicht empfehlenswert!) Zur Beruhigung ihrer Familie nimmt sie inzwischen eine Boje mit. Außerdem trägt sie Neoprenhandschuhe bei einer Wassertemperatur unter zehn Grad. Und sie hat ihre eigene Atemtechnik entwickelt. Es gehe vor allem ums Ausschnaufen, wenn du reingehst. Man dürfe nicht nervös werden. Krank sei sie seitdem nicht ein einziges Mal geworden, aber der Effekt würde sowieso weit über das Körperliche hinausgehen. Nichts bringe sie so schnell in ihre Mitte wie das Eisbaden. Eben: Das Schwimmen hält dich über Wasser.

Ausschnitt aus marie, Ausgabe Februar 2022